Abstract

Persistierende entzündete Parodontaltaschen stellen uns in der täglichen Praxis vor ein großes Problem, insbesondere wenn nichtchirurgische Vorgehensweisen versagen. Sowohl für uns Behandler als auch für unsere Patienten ist eine chirurgische Intervention oftmals unerwünscht. Durch das sog. „Clean & Seal“ Konzept, das im Rahmen der AIT beziehungsweise UPT angewendet werden kann, haben wir eine zusätzliche nichtchirurgische Behandlungsoption, um die chirurgische Parodontaltherapie (CPT) zu vermeiden. Das Konzept beruht auf der Kombination einer subgingivalen Instrumentierung unterstützt durch ein Reinigungsgel auf Hypochlorit-Basis, welches zur besseren Entfernung von Biofilm und Granulationsgewebe dient. Diesem initialen Reinigungsschritt folgt die Applikation von vernetzter Hyaluronsäure, welche die Heilungsprozesse unterstützt und zum „Versiegeln“ der gereinigten Wundstelle führt und so vor einer erneuten Infektion schützt.

 

Kombi-Behandlung und die neue PAR-Richtlinie

Parodontalerkrankungen sind durch eine Biofilm-induzierte Entzündungsreaktion gekennzeichnet, die zunächst das parodontale Weichgewebe und im weiteren Verlauf auch den Zahnhalteapparat angreift. Die Bildung von pathogenen Biofilmen wird durch tiefe Taschen oder Furkationen begünstigt, sodass letztendlich das Risiko eines Zahnverlustes erhöht wird.

In 2021 erfolgte die deutsche Implementierung der EFP-S3-Richtlinie zur Behandlung von Parodontitis durch die Deutsche Gesellschaft für Parodontologie e.V. (DG PARO; https://www.dgzmk.de/Die-Behandlung-von-Parodontitis-Stadium-I-bis-III).

Die Diagnose erfolgt entsprechend den Stadien Staging und Grading. Kernelemente des stufenweisen Therapiekonzeptes ist die aktive Parodontitistherapie (APT) sowie die unterstützende Parodontitistherapie (UPT).

Falls der Patient auf nichtchirurgische Behandlungsansätze nicht anspricht und persistierende tiefe Taschen mit Entzündungszeichen verbleiben, ist in der Regel eine chirurgische Behandlung vorgesehen, um eine effektivere Entfernung von Biofilm und Granulationsgewebe „unter Sicht“ durchführen zu können. Diese parodontalchirurgischen Maßnahmen sind allerdings auch mit einigen Nachteilen verbunden. Die CPT ist invasiv und deshalb von unseren Patienten oftmals unerwünscht. Zudem sind sie technisch aufwendig und zeitintensiv, und sollten deshalb nur von erfahrenen Behandlern durchgeführt werden. Durch die kürzlich erfolgte Kürzung des GKV-Budgets steht die stark reduzierte Vergütung für die chirurgischen Ansätze in keinem Verhältnis zum zeitlichen und technischen Aufwand.

Aus diesem Grund sind wir immer auf der Suche nach effektiven adjuvanten, nichtchirurgischen Protokollen für subgingivale Instrumentierung. Bisher etablierte Protokolle konnten allerdings bislang keinen wesentlichen Vorteil hinsichtlich der Verbesserung von Sondierungstiefen und des klinischen Attachments im Vergleich zur Instrumentierung allein aufzeigen.

 

Nichtchirurgische Instrumentierung tiefer Zahnfleischtaschen

Ein erfolgreiches parodontales Gesamtkonzept kann nur durch Kontrolle und Entfernung des Biofilmes realisiert werden. In der neuen Leitlinie stellt die gründliche mechanische subgingivale Instrumentierung der betroffenen Taschen mit Hand- und/oder Ultraschallinstrumenten das Kernelement dar. In ausgewählten Fällen kann die begleitende systemische Antibiotikagabe bzw. die Anwendung von lokalen Adjuvantien in Erwägung gezogen werden.

In unserer Praxis versuchen wir, die Effizienz der nichtchirurgischen Parodontalbehandlung durch zwei Kernelemente zu verbessern, zunächst durch effizientere subgingivale Instrumentierung mithilfe von geeigneten Adjuvantien. Danach versuchen wir durch „Versiegelung“ der gereinigten Tasche das Risiko einer Rekontamination herabzusetzen und Heilungsvorgänge zu verbessern.

Wir wenden das sogenannte „Clean & Seal“-Konzept an. Dazu wird adjuvant zur mechanischen Reinigung ein Reinigungsgel auf Hypochlorit-Basis (NaOCl) angewendet, das mit einer speziellen Formulierung mit Aminosäuren gepuffert wird (PERISOLV, REGEDENT GmbH). Anschließend wird der Defekt mit einer vernetzten Hyaluronsäure (hyaDENT BG, REGEDENT GmbH) versiegelt, um einer Reinfektion der Parodontaltasche vorzubeugen und die parodontale Heilung auf Zellebene zu fördern.

Das Reinigungsgel ist ein Zweikomponentenpräparat, bestehend aus einer 0,95 % NaOCl und einer Aminosäurelösung. Beide Komponenten werden miteinander unmittelbar vor Gebrauch gemischt (Abb. 5). In In-vitro-Studien zeigte das Gel positive antimikrobielle Eigenschaften, insbesondere gegen einen Biofilm bestehend aus parodontalpathogenen Krankheitserregern. Darüber hinaus weist das Gel eine degranulierende Wirkung auf, sodass die mechanische Instrumentierung des Defektareals unterstützt wird. In der Medizin werden vergleichbare Präparate für die erfolgreiche topische Behandlung von chronischen diabetischen Wunden und Hautulcera angewendet.

Bei der subgingivalen Instrumentierung kann durch die wiederholte Behandlung mit dem Gel während einer Sitzung ein effektives Debridement des Wundareals und so eine statistisch signifikant verbesserte Wundheilung erfolgen. Durch die spezielle Zusammensetzung erfolgt bei der subgingivalen Applikation des Reinigungsgels eine kontrollierte Wirkung auf infiziertes Granulationsgewebe, ohne einen signifikanten Einfluss auf das umliegende gesunde Gewebe. In einer randomisierten, kontrollierten klinischen Studie konnte gezeigt werden, dass die adjuvante Anwendung des NaOCl-Gels zu einer statistisch signifikanten Verbesserung der parodontalen Messparameter führte. Nach sechs Monaten wurden in der NaOCl-Gruppe im Vergleich zur Kontrollgruppe statistisch signifikant weniger Stellen mit erhöhten Sondierungswerten gemessen und auch weniger Entzündungszeichen (Sondierungsblutung) verzeichnet. In einer weiteren klinischen Vergleichsstudie wurde die Wirksamkeit des Reinigungsgels mit der von Chlorhexidin (CHX) verglichen, das in der Praxis häufig zur subgingivalen Irrigation angewendet wird. In der Gruppe, die mit dem Reinigungsgel behandelt wurde, waren im Vergleich zur CHX-Gruppe alle klinischen Parameter (Sondierungstiefe, BOP und CAL) deutlich verbessert. Der ausgeprägteste Effekt war bei der Veränderung des klinischen Attachments zu beobachten, das in der Reinigungsgelgruppe statistisch signifikant besser als bei CHX war.

 

Vernetzte Hyaluronsäure (xHyA) zur Versiegelung

Hyaluronsäure (HA) hat das Potenzial, den Heilungsprozess zu unterstützen, insbesondere in kompromittierten Situationen, wie z. B. bei tiefen oder unzugänglichen Parodontaltaschen. 1 g Hyaluronsäure kann bis zu sechs Liter Wasser aufnehmen. Dadurch bindet HA das Blut sofort, es folgt die schnellere Bildung eines Koagels und damit eine Stabilisierung des gereinigten Wundbereiches. HA wirkt bakteriostatisch und kann die erneute bakterielle Wiederbesiedelung der Wundstelle verringern. Bei chirurgischer Anwendung fördert HA die Angiogenese und beschleunigt die Wundheilung. Sogar auf kompromittierte Wunden wie bei Diabetespatienten wirkt sich HA positiv aus.

So ist es nicht verwunderlich, dass die Anwendung von Hyaluronsäure nach mechanischer Instrumentierung die parodontalen Parameter im Vergleich zur SRP-Behandlung allein verbessert.

Ein Review mit Metaanalyse zeigte, dass durch adjuvante Gabe von HA in der gewichteten mittleren Differenz aller ausgewerteten Studien im Vergleich zur Instrumentierung allein sowohl eine Verbesserung des klinischen Attachments als auch der Sondierungstiefe erreicht werden kann.

HA verbessert auch die lokalen Entzündungsparameter, gekennzeichnet durch signifikante Reduktion des Sondierungsblutens (BOP) im Vergleich zum SRP alleine.

 

Potenzial der Kombinationstherapie Reinigungsgel/vernetzte Hyaluronsäure

Der positive Effekt der adjuvanten Anwendung des „Clean & Seal“-Konzeptes wurde klinisch bereits sowohl bei der AIT als auch bei der UPT bewiesen.

In einer kontrollierten Vergleichsstudie wurden Patienten im Rahmen der AIT entweder mittels Intrumentierung alleine oder unterstützt mit dem „Clean & Seal“- Protokoll behandelt.

Neun Monate nach Behandlung zeigte die „Clean & Seal“-Gruppe signifikant bessere Parodontalparameter, gekennzeichnet durch eine > 1 mm größere Taschenreduktion, einen > 1 mm höheren Attachmentgewinn sowie ein um > 30 % reduziertes Auftreten von Sondierungsblutung.

In einer klinischen Fallserie wurden bei tiefen entzündeten persistierenden Taschen, anstelle einer vorgesehenen CPT, eine Instrumentierung unterstützt mit dem

„Clean & Seal“-Protokoll durchgeführt. Es wurde sowohl eine signifikante Reduktion der Sondierungstiefe als auch des klinischen Attachmentverlustes von mehr als 2 mm erzielt werden.

Weiterhin konnten die lokalen Entzündungsparameter signifikant von fast 100 % auf 40,1 % reduziert werden.

 

Case Report

Die Patientin stellte sich in unserer Praxis bezüglich parodontaler Beschwerden vor (Abb. 1). Die Patientin gab an, in der Vergangenheit bereits in parodontaler Behandlung gewesen zu sein. Darüber hinaus äußerte die Patientin den Wunsch nach prothetischer Rehabilitation. Im Rahmen eines ganzheitlichen Behandlungskonzeptes wurden nichterhaltungswürdige Zähne extrahiert und sowohl im Oberals auch im Unterkiefer eine Kombination aus festsitzendem und herausnehmbarem Zahnersatz geplant.

Abb.1: Ausgangssitution

Parodontologisch zeigten sich multiple vertiefte Taschensondierungstiefen. Besonders im Bereich distal des Zahnes 12 konnte ein stark ausgeprägter röntgenologisch sichtbarer Knochenabbau in Kombination mit einer Taschensondierungstiefe von 7 mm und positivem Bleeding on Probing (BOP) festgestellt werden (Abb. 2 und 3).

Abb.2: Röntgenbefund im 1. Quadranten zeigt den starken Knochenabbau
Abb.3: Klinisches Ausgangsbild mit 7mm Sondierungstiefe und positivem Blutungsindex an Zahn 12.

Wir entschieden uns gegen eine parodontalchirurgische Therapie an beschriebenem Zahn im I. Quadranten. Stattdessen verwendeten wir das neue nichtchirurgische parodontale „Clean & Seal“-Verfahren. Wie in unserem Protokoll vorgesehen, wurde ein gründliches Scaling & Root Planing (SRP) mit Hand- und Ultraschallinstrumenten unter Infiltrationsanästhesie und einer begleitenden Anwendung des Reinigungsgels (PERISOLV, REGEDENT GmbH) zur Unterstützung der Biofilmentfernung durchgeführt. Nach dem Zusammenmischen der beiden Komponenten (Abb. 4 und 5) wird dafür das Gel mit einer stumpfen Kanüle tief in die Tasche eingebracht und nach einer Einwirkzeit von ca. 60 Sekunden mit dem mechanischen Scaling fortgefahren. Dieses Verfahren wird mehrfach wiederholt, bis keine sichtbaren Konkremente mehr aus der Tasche austreten. Nach Abschluss der Instrumentierung wird die Tasche mit der kreuzvernetzten Hyaluronsäure (xHyA; hyaDENT BG, REGEDENT GmbH; Abb. 6) zur Förderung des Heilungsprozesses gefüllt (Abb. 7). Der Vorteil in der Applikation von hyaDENT BG im Vergleich zu Schmelz-Matrix-Proteinen ist, dass die Wundstelle weder trocken noch blutarm sein muss und keine Konditionierung der Wurzeloberfläche erforderlich ist.

Abb.4: Instrumente und Materialien für subgingivale Instrumentierung und „Clean & Seal“.
Abb.5: Mischen der beiden Komponenten von PERISOLV.
Abb.6: Vernetzte Hyaluronsäure (xHyA, hyaDENT BG).
Abb.7: Situation nach Einbringen der Hyaluronsäure in die gereinigte Tasche

Im Rahmen einer ganzheitlichen Vorgehensweise wurde sowohl im gesamten I. Quadranten als auch an weiteren parodontal kompromittierten Zähnen und Implantaten mit periimplantären Entzündungen eine subgingivale Instrumentierung in Kombination mit dem „Clean & Seal“-Konzept angewendet. Somit sollte die gesamte Biofilmlast deutlich reduziert werden und die parodontale Regenerationsfähigkeit maximal gefördert werden. Im Nachgang wurde nach den ersten drei Tagen nach der Therapie erneut vernetzte Hyaluronsäure in die vertieften Taschen ab 5 mm Sondierungstiefe eingelegt.

Nach einer Wartezeit von sechs Monaten erfolgte die Befundevaluation. Hier konnte bereits eine deutliche Reduktion der Taschensondierungstiefen und eine Auflösung der Entzündungsparameter festgestellt werden (Abb. 8 und 9). Darüber hinaus zeigte sich im weiteren Verlauf ebenfalls röntgenologisch eine beginnende knöcherne Ausheilung, sowohl um die ehemals parodontal beherdeten Zähne als auch um die anfangs infizierten Implantate im Unterkiefer (Abb. 8). Durch den Erfolg der Therapie mittels des „Clean & Seal“-Konzeptes konnte der Patientin eine chirurgische Intervention erspart werden und der Zahnersatz erfolgreich eingegliedert werden. Abbildung 10 zeigt den radiologischen Befund mit stark verbesserter knöcherner Konsolidierung von Zahn 12 nach zwölf Monaten.

Abb.8: Röntgenbild nach sechs Monaten zeigt eine deutliche Verbesserung der Knochensituation, sowohl um die verbliebenen Zähne als auch um die Implantate.
Abb.9: Klinisches Bild an Zahn 12 sechs Monate nach Instrumentierung mit deutlich verringerter Taschentiefe von 4mm ohne BOP.
Abb. 10: Radiologischer Befund nach zwölf Monaten zeigt deutlich verbesserte parodontale knöcherne Situation.

Auch 18 Monate nach „Clean & Seal“ zeigt sich eine stabile parodontale Situation (Abb. 11 und 12). Weiterhin niedrige Taschensondierungstiefen um Zahn 12 von 3 mm und eine nahezu komplette radiologische Ausheilung des anfänglichen großflächigen Defektes. Ebenso können in ganzheitlicher Betrachtung stabile parodontale und periimplantäre Verhältnisse festgestellt werden. Diese zeigen sich sowohl klinisch als auch röntgenologisch.

Abb. 11: Klinisches Bild 18 Monate nach Instrumentierung; Zahn 12 TST von 4 mm ohne BOP.
Abb. 12: Radiologischer Befund 18 Monate nach der Behandlung mit stabilisiertem parodontalen Knochenniveau (Zahnangabe 12, TST ca 4 mm ohne BOP).

 

Fazit

Die adjuvante Verwendung eines Hypochlorit-Gels bei der geschlossenen subgingivalen Instrumentierung unterstützt die mechanische Entfernung des Biofilmes.

Durch die anschließende Versiegelung des Wundraumes mit vernetzter Hyaluronsäure wird die Wundraumstabilisierung verbessert, die Wundheilung beschleunigt und regenerative Prozesse zur parodontalen und periimplantären Geweberegeneration unterstützt. Dadurch werden relevante Erfolgskriterien für einen vorhersagbaren regenerativen Behandlungserfolg bei komplexen Defekten verbessert und das Therapiespektrum unserer nichtchirurgischen Parodontaltherapie erneut erweitert und optimiert.

 

Authoren: Alexander Müller-Busch, Frederic Kauffmann